Interview mit Prof. Franz zur Tenotomie (Durchtrennung der Mittelohrmuskeln)

Prof. Dr. Peter Franz ist Vorstand der HNO-Abteilung an der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien und hat eine neue OP-Methode für Morbus Meniere etabliert. Bei der Tenotomie werden die Mittelohrmuskeln (Musculus tensor tympani und Musculus stapedius) durchtrennt, um so die Schwindelanfälle zu reduzieren.
Bei einer Diskussion zu dieser Methode mit Meniere-Patienten kamen viele Fragen zu der OP zusammen, die ich dem Prof. gebündelt stellen konnte. Es war so nett und hat uns die Fragen beantwortet. Hier seine komplette Stellungnahme:

Die Tenotomie eine mögliche Erklärung ihrer Wirkungsweise (Peter Franz und Benjamin Loader)

Vorausschicken möchte ich, dass die Tenotomie an unserer Abteilung nicht „die Methode der Wahl ist“, sondern nur eine neue entwickelte Behandlungsmethode zur Beseitigung der Symptome der Meniérschen Erkrankungen. Ob diese Methode bei einem Patienten zur Anwendung kommt wird erst nach der Durchführung von diversen Untersuchungen, sowie nach genauer Prüfung der Anamnese entschieden.
Zunächst möchte ich Ihnen erklären wie es zur Entwicklung der Tenotomie (Durchtrennung der Sehnen beider Mittelohrmuskeln; Musculus tensor tympani und Musculus stapedius) kam:

Bei der Durchsicht der Literatur gibt es sehr unterschiedliche therapeutische Empfehlungen, ganz generell kann zwischen konservativen und chirurgischen Therapieformen unterschieden werden:

Konservative Maßnahmen:
• Corstisontherapie
• Entwässerungtherapie mit Diuretika
• Betahistidintherapie

Chirurgische Maßnahmen
Funktionserhaltende Eingriffe
• Saccotomie (Saccusdrainage); Der Ertaubungsrate von etwa 5% nach Saccotomie und Dekompression muss die Ertaubungsrate der Gentamicin-Behandlung von bis zu 18%
gegenübergestellt werden.
• Saccusdekompression
• Endolymph-Perilymph-Shunt-Operationen (aufgrund hoher Ertaubungsraten heute obsolet)

Gezielt funktionszerstörende Eingriffe
• Labyrinthektomie (obsolet)
• Vestibularis-Neurektomie (Bei erhaltenem Hörvermögen wird transtemporal-extradural vorgegangen)

Semichirurgisch-medikamentöse Ansätze
• Labyrinthanästhesie
• Transtympanale Gentamicin-Behandlung (Als unerwünschte Nebenwirkungen wurde in 25–40% der Fälle über „schwerwiegende Cochleaschäden“ bzw. komplette Ertaubungen der behandelten Ohren in etwa 4–18% der Fälle berichtet)
• Transtympanale Cortison-Behandlung

Eingriffe mit fraglicher Placebowirkung
Einsetzen eines Paukenröhrchens

Neue chirurgische Therapieoptionen
Tenotomie

Das war ein Überblick über die derzeitige Literatur.

In jedem Fall beginnen wir an unserer Abteilung bei bisher unbehandelten Meniére Patienten zunächst mit einer konservativen Therapie.
Bessert sich die Symptomatik nicht empfehlen wir das Einsetzen eines Paukenröhrchens in Lokalanästhesie. Treten immer noch Schwindelattacken auf, kann über das Paukenröhrchen eine Labyrinthanästhesie oder transtympanale Cortison-Behandlung durchgeführt werden. Die Datenlage der Labyrinthanästhesie/Transtympanale Cortison-Behandlung ist zum jetzigen Zeitpunkt aber gering.
Wegen der Möglichkeit einer „schwerwiegenden Cochleaschadens“ bzw. einer kompletten Ertaubungen wird in Österreich die Gentamicintherapie äußerst selten durchgeführt.

Damit bleibe nur mehr die richtigen chirurgischen Therapieoptionen für die Behandlung von schweren Meniere-Erkrankungen übrig, nämlich die Saccotomie und die Neurektomie des Gleichgewichtsnerven. Die Neurektomie ist ein neurochirurgischer Eingriff über die hintere Schädelgrube und ist demnach mit theoretischen, schwerwiegenden neurologischen Komplikationen behaftet. In der Regel wird die Neurektomie in Deutschland und Österreich fast nicht durchgeführt. Diese Behandlungsmethode wird z.B. traditionellerweise in Frankreich empfohlen.

Im Jahr 1998 hatten wir an der Wiener HNO-Klinik einen Patienten an dem eine Saccotomie bei einer schweren meniérschen Erkrankung mehrfach erfolglos durchgeführt wurde. Ich stellte ihm als letzte Möglichkeit eine Neurektomie oder eine Gentamycinapplikation in Aussicht, der Patient lehnte aber beide Therapieoptionen kategorisch ab. In einem alten HNO-Lehrbuch fand ich einen Artikel worin beschrieben wurde, dass vor ca. 150 Jahren in Deutschland eine Tenotomie der Mittelohrmuskeln bei Patienten mit Meniére-ähnlichen Symptomen erfolgreich durchgeführt wurde. Die Meniérsche Erkrankung war damals noch nicht beschrieben worden, jedoch litten damals Patienten auch unter ähnlichen Symptomen wie sie erst Jahre später von Herrn Prosper Meniére beschrieben wurden. Wir diskutierten an der Universitätsklinik in Wien die Möglichkeit, die Tenotomie in der Behandlung des Morbus Meniére einzusetzen und besprachen diese neue Option auch mit unserem ersten Patienten. Der Patient litt unter mehreren Anfällen pro Woche und bat uns diese Operation bei ihm möglichst schnell durchzuführen, er wollte der erste Patient sein bei welchen diese Methode zur Anwendung kam. Bereits einige Tage nach der Operation kam es zum Verschwinden der Drehschwindelattacken und erstaunlicherweise verbesserte sich das Hörvermögen des Patienten nach einigen Wochen. Dies war der Beginn der Einführung dieser neuen chirurgischen Möglichkeit. In einer ersten Studie konnten wir zeigen dass die Tenotomie zu einer deutlichen Reduktion bzw. zu einem Verschwinden der Schwindelattacken führte. Auch das Allgemeinbefinden der Patienten zwischen den Schwindelattacken verbesserte sich, als positiver Nebeneffekt war auch bei einigen Patienten ein dauerhafter Anstieg des Hörvermögens zu beobachten.

Wie erklären wir uns die Wirkungsweise?
Aus Tierversuchen ist bekannt dass eine Erhöhung des Innenohrdruckes zu einem Herausdrücken des Steigbügels aus dem Innenohr in Richtung Mittelohr führt. Die Mittelohrmuskeln erkennen dieses Herausdrücken und versuchen den Steigbügel wieder in seine ursprüngliche Position hinein zu drücken. Dadurch entsteht ein Teufelskreis der zu einem weiteren Druckanstieg des Innenohres führt. Die Tenotomie könnte unserer Meinung diesen Teufelskreis unterbrechen.
Fragen:

– Inwiefern bessern sich durch die OP auch die Hörminderungen? Gibt es hier genau Zahlen bei wie vielen es besser wird und bei wie vielen vielleicht auch schlechter?
In der Abhängigkeit von der Dauer der Erkrankung und des Ausmaßes des Hörverlustes kann sich die Schwelle um einige dB verbessern.
Es liegt in der Natur der Erkrankung das sich das Hörvermögen der Patienten über die Jahre kontinuierlich verschlechtert.

Als vielleicht noch interessanteren Nebenbefund konnten wir sehen, dass die Durchtrennung der beiden Mittelohrmuskeln zu keiner Hörminderung (durch die ersten Jahre) oder einer postoperativen Hyperakusis führt. Hörverschlechterungen der Innenohrfunktion traten wie bereits oben erwähnt erst nach Jahren auf.

– Manche Meniere-Patienten haben auch Dauer-Schwankschwindel. Besteht eine Chance, dass auch dieser gebessert wird?
Das Hauptziel der Tenotomie ist die Eliminierung der massiven Attacken. Tendenziell kann sich der Schwankschwindel bessern, jedoch ist hier die Datenlage noch nicht aussagekräftig genug. Der Schwanken könnte auch auf einem „Ausbrennen“ des gesamten Gleichgewichtsystems der betroffen Seite zurück zu führen sein. Allerdings sind hier mehrere komplexe Regelkreise involviert, die im Einzelfall beurteilt werden sollte.

– Werden beide Mittelohrmuskeln durchtrennt?
Ja, es werden beide Muskeln durchtrennt, wobei der wesentliche Muskel, der kräftige Musculus tensor tympani ist.

– Kann man die Mittelohrmuskeln nicht auch mittels Botox lähmen anstatt sie zu durchtrennen?
Diese Therapieform wurde nur einmal im Tierversuch studiert, kann aber beim Menschen derzeit nicht angewandt werden.

– Was sind die Nebenwirkungen der Tenotomie? Gibt es ein Infektionsrisiko?
Die Nebenwirkungen sind dieselben wie bei jeder Mittelohroperation die jedes Jahr tausende Male durchgeführt werden. Extrem seltene Risiken bei jeder Mittelohroperation (unabhängig von der Erkrankung) sind Gesichtnervenlähmung, Hörminderung bis Ertaubung, vorübergehende Geschmacksstörung und Ohrensausen.

– Wie erklären sich die wenigen Fällen, wo es nicht die erhoffte Wirkung hatte? 
Bei der Meniérschen Erkrankung handelt es sich nicht um ein Krankheitsbild, sondern um eine Reaktionsform des Innenohres (Anschwellung) auf eine Vielzahl von Ursachen die einer Diagnostik nicht zugänglich sind. Es werden also nur Symptome und niemals die Ursache (bei jeder Meniere-Therapie!!!!!!) behandelt. Daher finden wir auch keine Erklärung warum unsere Methode in manchen Fällen keine Wirkung zeigt.

– (in Bezug auf die 2013 Veröffentlichung) Warum zeigt der Score in der Zeit 0-3 Jahre nach der OP, so extrem dramatische Verbesserungen, und warum wird das in den Gruppen 3-6 sowie 6-9 Jahre nach der OP wieder um einiges abgemildert?
Diese Frage wurde bereits oben beantwortet.

– Welche Bedeutung könnten die bei den Operationen beobachteten Entzündungen in der Pauke haben? Was war da genau entzündet? Und wie wurden diese Entzündungen behandelt?
Bakterielle Entzündungen haben wir bei unseren Patienten nicht gesehen, bei einigen Patienten befanden sich Narben im Bereich der Mittelohrmuskeln und der Gehörknöchelchen. Derartige Narben könnten theoretisch auch einen Zug an den Gehörknöchelchen ausüben, diese Vorstellung spielt jedoch meiner Meinung nach beim zustande kommen von Meniéresymptomen eher eine untergeordnete Rolle.

– Welche Voraussetzungen muss ich als Patient erfüllen, um überhaupt für die Tenotomie infrage zu kommen?
Die Indikation zur Tenotomie kann nur nach persönlicher Untersuchung und in einem persönlichen Gespräch erfolgen, keineswegs über das Telefon oder über das Internet. Grundvoraussetzung ist das Vorliegen eines sogenannten „definit Meniére Syndrom“ (Literatur: Committee on Hearing and Equilibrium guidelines for the diagnosis and evaluation of therapy in Ménière’s disease. Otolaryngol Head Neck Surg 1995;113:181–5.) mit entsprechender Symptomatik und der Wirkungslosigkeit von konservativen Maßnahmen.

Verfasser:
Univ.-Prof. Dr. Peter FRANZ
Vorstand der HNO-Abteilung
Krankenanstalt Rudolfstiftung
Juchgasse 25, A-1030 Wien

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